Zunächst sah alles so aus, als würden die Babyshambles tatsächlich einmal pünktlich auftreten. Kaum war um 23.30 Uhr im Atomic Café der letzte Ton der schwedischen Band The Movements verklungen, begannen die Helfer eifrig, die Bühne für Pete Doherty und seine Band vorzubereiten.
Das Publikum stellte sich schon mal darauf ein, dass es länger dauern könnte bis zum Auftritt - falls es überhaupt dazu kommen sollte, bei Pete Doherty weiß man nämlich nie.
Seine Unberechenbarkeit ist schließlich auch Teil des Mythos, der sich um die britische Rocklegende rankt. Reguläre Konzerttermine werden gerne in letzter Minute abgesagt - beim entfallenen Konzert in der Münchner Muffathalle letztes Jahr wusste die Band angeblich gar nicht, dass eine Deutschland-Tour ansteht. Ob das Marketingstrategie ist oder vielleicht doch hauptsächlich an Dohertys Persönlichkeitsstruktur liegt?
Wer zufällig von dem Konzert am Samstag im Atomic Café erfahren hatte, dachte wohl nicht lange darüber nach und machte sich auf den Weg. Erste Erkenntnisse gab es um Mitternacht: Pete Doherty ist noch im Hotel, er ist fix und fertig, liegt auf dem Bett und liest Schopenhauer, der Auftritt ist ungewiss.
Bangen und knisternde Spannung im Publikum, der Mythos lebt. Ein Gerücht jagt das nächste, per Flüsterpost verbreitet sich die Nachricht: Die Babyshambles sind schon im Backstage-Raum des Clubs.
Um 0.45 Uhr taumelt Pete Doherty dann tatsächlich auf die Bühne. Das weiße Gesicht vor dem Glitzervorhang, eine Kette mit Kreuz um den Hals. „Guten Abend“ murmelt der Sänger ins Mikrofon, die Augen weit aufgerissen, sein leerer Blick ins hysterische Publikum gerichtet.
Die Fans drängen nach vorne, recken ihre Fotohandys in die Höhe, jeder will diesen Moment festhalten. Doherty erzählt von einer Taxifahrt durch München, bricht mitten im Satz ab, fängt zu spielen an. Das Publikum tobt, selten zuvor war die Atmosphäre im Atomic Café so aufgeheizt wie an diesem Abend. (Impressionen vom Konzert gibt es in unserer Bildergalerie).
Über eine Stunde spielt der Antiheld, dessen weiche Gesichtszüge erheblich vom Drogenkonsum gezeichnet sind. Die übrigen Babyshambles lenken kaum Aufmerksamkeit auf sich und spielen genügsam ihre Statistenrolle im Schatten der Legende. Immer wieder spricht Doherty mit dem Publikum, zückt sein Handy, telefoniert aufgeregt mit "Anthony", raucht verdächtig geformte Zigaretten und schnippt diese wortlos ins Publikum, was beim Security-Personal für wenig Begeisterung sorgt.
Die Fans stört dies kaum. Schließlich wirft da nicht irgendein dahergelaufener Rüpel seine brennenden Kippen in den Zuschauerraum, sondern jemand, der in seiner selbstzerstörerischen Unbefangenheit vielleicht unsere geheimen Wünsche nach absoluter Freiheit im reglementierten Alltag verkörpert wie kein anderer.
Beim Finale "Fuck Forever" bringen die Fans die Lautsprecherbox fast zum Umsturz. Und dann ist Pete Doherty weg. Wie aus einem Traum erwacht irren die Menschen verwirrt durch das Atomic Café.
Auch Stunden später, als Pete Doherty längst schon nicht mehr unter ihnen weilt, überschlagen sich noch immer die Emotionen: „Danke dass ihr uns Teil einer Legende gemacht habt“, schreibt tata ins Gästebuch des Clubs. Ein anderer: „Großartig! Unglaublich! Mir fehlen die Worte, ich bin den Tränen nahe.“ Manche sehen das Ganze aber auch nüchterner: „Es ist doch nur ein Drogenopfer, das auf der Bühne rum taumelt – nicht mehr und nicht weniger!“
Kurt Cobain hatte seinen letzten Auftritt in München. Das Konzert im Atomic Café wird wohl nicht das letzte von Pete Doherty gewesen sein, aber möglicherweise das letzte in München. So gesehen, war das gestern im Atomic Café vielleicht wirklich legendär und einzigartig. Verweile doch, oh Pete, du bist so schön!
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Text: Lisa Sonnabend und Maximilian Sterz
(sueddeutsche.de)