Theatrophobia: Angst und Bange in den Münchner Kammerspielen

Arachnophobie, Atychiphobie, Arachibutyrophobie: Bevor es am Samstag auf der Bühne des Schauspielhauses das Hauptprogramm des vierten Wochenendes der jungen Dramatiker zu sehen gab, konnten sich die Besucher der Münchner Kammerspiele von 18 bis 20 Uhr mit den unterschiedlichsten Spielformen der Angst beschäftigen. Zwanzig Textinstallationen (u.a. von Thomas Meinecke, Elfriede Jelinek und Feridun Zaimoglu) in den Foyers und hinter der Bühne gaben als "Nischen der Angst" Einblick in die wundersame Welt der Phobien.

Klassische Ängststörungen wie die Angst vor Spinnen oder vor dem Versagen waren dabei ebenso vertreten wie z.B. die eher exotische, aber gleichwohl medizinisch anerkannte "Angst davor, dass Erdnussbutter am Mundwinkel hängenbleibt."

Münchner Kammerspiele Wochenende der jungen Dramatiker

Ab 20 Uhr wurden auf der Bühne des Schauspielhauses gekürzte Stückfassungen von sechs Jungdramatikern gezeigt, drei davon als szenische Lesung.

Los ging es mit dem schwierigen Theatertext "worin noch niemand war [ein Heimatfilm]" von Jörg Albrecht, der leider durch die trockene und statische Präsentation als Lesung viel verlor und daher in seiner Gesamtheit schwer mitzuverfolgen war.

So konnte dann auch der Kontrast zum nächsten Stück - Nina Enders "Neues Land" - kaum stärker ausfallen: Ein albtraumhaft beleuchteter Esstisch inmitten des Bühnendunkels, fünf Frauen aus drei Generationen: Rachel, Rita, Cocco, Klein Lilli und die alte Martha - gespielt von der großartigen Heidy Forster - schlürfen gespenstisch hallend die lebenserhaltende Nahrung in sich hinein, während die nur wenig subtil erbschleichenden Schwestern Rachel und Rita den Tod der Großmutter herbeisehnen - es fehlt nur noch die Unterschrift im Testament - und letztlich (fast) alles von der energischen Rachel in blaue Müllsäcke verfrachtet wird.

Der Übergang zum nächsten Stück ist wieder ein harter Bruch: Dirk Lauckes "alter ford escort dunkelblau" ist ein deutsches Roadmovie, in dem drei für eine Zeitarbeitsfirma Getränke ausfahrende Langzeitarbeitslose für kurze Zeit ihrem Traum von Freiheit nachgeben: Der von seiner Frau Karin verstoßene Schorse (André Jung) entführt kurzerhand seinen Sohn auf dem Weg zur Schule und los geht ein Roadtrip, der in Ermangelung einer Route 66 eben nach Legoland führt. Die Geschichte einer dilletantischen und beinahe tragisch endenden Entführung wurde mit Projektionen halb-verfallener Plattenbau-Siedlungen hinterlegt, die - ebenso wie der Text - nicht durch Sozialkritik, sondern vor allem ästhetisch überzeugen. Nicht zuletzt lernt der Zuschauer auch noch etwas fürs Leben: "AC/DC, das sind fünf, nicht vier!"

Bereits nach der Pause zeigte sich allerdings die grundsätzliche Problematik des Stücke-Marathons: Durch die direkte Abfolge der sehr unterschiedlichen Stücke blieb dem Publikum kaum Zeit zum Luftholen. Das war bei vorangegangen Dramatikerwochenenden mit verschiedenen Spielorten und anschließenden Publikumsgesprächen besser gelöst.

So leerte sich der Zuschauerraum im Verlauf der zweiten Hälfte auch zunehmend. Thomas Melles Farce "Licht frei Haus" - als Lesung in Szene gesetzt von Lars-Ole Walburg - behandelt den Aufstand einer ziemlich ungleichen und merkwürdigen Hausgemeinschaft gegen einen bevormundenden Staat - verkörpert vom Sozialbeamten Stempel, der erst einmal in druckreifem Amtsdeutsch klarstellt, dass er sich um die erheiternde Wirkung seines Nachnamens im Kontext seiner beruflilchen Tätigkeit durchaus bewusst sei. Gegen Ende der Hinterhof-Farce vereinen sich Jung und Alt in ungewöhnlicher Allianz und proben den Aufstand gegen einen gesichtslosen Staat, der diese grotesk verzerrte Wiedergeburt der Großfamilie entmündigen möchte: die Utopie von Solidarität.

Privates Glück und kriegerische Zerstörung kollidieren in Roger Vontobels Inszenierung von Daniela Janjic "Gelbe Tage". Eine Frau, ihr Mann und ihr Bruder kämpfen in einer "Mannschaft". Was anfangs nach sportlichem Wettkampf aussieht, entpuppt sich im weiteren Verlauf als blutiger Ernst einer kriegerischen Auseinandersetzung. Zunächst geht es gegen die "Roten", den gemeinsamen Feind, doch die Fronten verwischen sich zunehmend, bis am Ende nichts mehr klar ist.

Den Abschluss machte Nicolai Borgers "Liebe und Armut", dem 5. Teil seines Zyklus "Globales Ghetto". Korittke, ehemals Revolutionär und mittlerweile Postbeamter, seine Frau Piet, Kretschmann, ein Krimineller und dessen Frau und Stripperin Pola geraten in einen wilden Reigen aus Geilheit und Gier, musikalisch untermalt von Dougadouga, dem Schwarzen ohne Aufenthaltsgenehmigung, der sich aus dem ganzen Tohuwabohu am liebsten raushalten würde. Leider wirkte die Splatter-Komödie "Liebe und Armut" im Vergleich zu den vorangegangenen Inszenierungen insgesamt ein wenig aufgesetzt.

Wer bis zum Schluss genügend Sitzfleisch bewiesen hatte, wurde kurz vor eins noch mit einem Kurzauftritt von Goldene-Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun belohnt, der im glitzernden Abendkleid den Song "Angst und Bange am Stück" zum besten gab und damit den Kreis der allgemeinen Angstthematik wieder schloss.

Bezeichnenderweise wurde an diesem insgesamt lohnenswerten Theaterabend eine medizinisch anerkannte Spielform der Angst nicht explizit thematisiert: Die Theatrophobie - die Angst vor Theatern. Vielleicht war man sich bei den Theatermachern bewusst, dass der damit angesprochene Zuschauerkreis wohl vorsichtshalber lieber zuhause geblieben ist.

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