Sie ist unter uns, die Lust nach Ruhe, nach geordneten Verhältnissen, Regelmäßigkeit, Reinheit. Josse de Pauws "RUHE" (erarbeitet mit dem Muziektheater Transparent und dem Collegium Vocale Gent) kollagiert schauspielerisch anspruchsvolle Monologe mit Schubertliedern wie "Ruhe, schönstes Glück der Erde", "Wein und Liebe" oder "Die Nacht". Vorgetragen werden diese Lieder mit einer musikalischen Perfektion, die der Hörerin die Tränen in die Augen treten lässt.
Die Monologe thematisieren auch eine Sehnsucht nach "Ruhe" und Ordnung: sie sind aus dem Buch "De SS'ers" erarbeitet und führen - auf realen Personen aus dem besetzten Holland der 40er Jahre fußende Figuren vor, die sich mit Freude und einem eigentlich nur geringfügigen Hang zur Rechtfertigung an ihre Zeit als freiwillige SS Mitglieder erinnern, vom Monster zum Menschen werden, und damit plötzlich zur Identifikation gereichen.
Lieder wie Monologe präsentieren sich dabei in einer ganz speziellen Raumsituation: Das Publikum bevölkert eine lose Insel konzentrischer Sitzkreise, bestehend aus lauter unterschiedlichen Stühlen; Sänger und Schauspieler bewegen sich unter ihnen, sitzen mit ihnen.
Wenn es in den Monologen menschelt, das schmachtende Liedgut dem Rippenfell schmeichelt, wird einem der eigene Hang zu Kitsch und zur "Ruhe" zum Verdachtsmoment, werden die Umsitzenden gespannt beäugt.
Zum Ende des klugen und mutigen Stücks verlassen die Künstler ihr Publikum und formen doch noch eine Bühnensituation: Dort verweist schließlich der Ruhe-Choral, als gänsehauterzeugende Verzerrung (eine Bearbeitung Annelies Van Parys) auf eine ganz andere Form der Ruhe; auf eine, die Frieden mitbringt und kein Säuberungsdenken, auf ein Akzeptieren von Polyphonien.
"RUHE" ist großes Theater mit dem Mut, sein Publikum nicht autoritär an der Hand zu nehmen sondern es in seiner Berührtheit ganz gnädig alleine auf den schönen, individualistischen Stühlchen sitzen zu lassen.
RUHE
(Josse De Pauw/ Muziektheater Transparant/ Collegium Vocale Gent,
Belgien)
RUHE ist noch einmal zu sehen
am 23.11., 20:30 - 21:50 Uhr
Muffatwerk/ Muffathalle
Homepage der Theatergruppe:
transparant.be