Die unschuldige Backsteinwand ist hier die einzige werbefreie Fläche. Und das nicht ohne Grund: Geht ein Tourist am Eingang der Unterführung vorbei, denkt er: „Hach wie schön klar und sauber die Münchener U-Bahnen doch sind“. Doch im Tunnel lauert das Werbe-Inferno. Insgesamt 143 Quadratmeter Werbung strahlen in der Studentenstadt-Unterführung auf den ungeschützten Passanten ein, es gibt kein Entkommen. An die Decke und auf die Bodenfliesen gucken funktioniert nur in Maßen, da man zwecks Vermeidung von Kollisionen auch regelmäßig geradeaus gucken muss. Und dann kommen sie über die Flanken, die Tabake, Titten und Touristik-Paradiese.
Besonders jene sekundären Geschlechtsmerkmale der Frau, die im letzten Satz wegen der hübschen Alliteration so vulgär benannt wurden, funktionieren immer. Der neue Drück-Hoch-BH in Medizinball-Größe versucht, das männliche Gehirn zu umgehen und zielt direkt auf die Hose. „Die ganze Geschichte im TV“, steht sogar noch darüber, was so viel bedeutet wie: „Willst Du meine perfekten Brüste in Bewegung sehen, lass nicht zu, dass die Werbeblöcke ständig von irgendwelchen Sendungen unterbrochen werden!“.
Zwar ist unter den Männern nur die Minderheit der Fetischisten und Transsexuellen direkte Zielgruppe der BH-Werbung. Beim Gros der Normal-Ottos brennt sich das Markenlogo aber zumindest mit positiven Assoziationen ins Hirn.
In der Unterführung beträgt die aktuelle Busen-Quote in der Werbung 11,8 Prozent, wenn man das kleine Leuchtplakat mit berechnet. Auf dem Bahnsteig gibt es zwei Billboards mit Kleinplakaten darauf und vier Leuchtwerbeflächen. Busenquote hier: Ein Drittel. Sieht man von den Veranstaltungshinweisen auf dem Billboard ab, liegt sie sogar bei 50 Prozent.
Doch selbst Scheuklappen helfen da nicht weiter. Ich habe mir schon oft die Hände an die Schläfen gehalten, doch das schützt nur vor der Werbung in unmittelbarer Umgebung. Links und rechts des Horizontes wartet schon der Medizinball-Schlüsselreiz. Je näher ich ihm komme, desto lauter wird die Stimme in meinem Kopf: „Geh da nicht hin, das ist Teufelswerk!“ Aber ich muss doch irgenwie zur U-Bahn, ich muss doch! Und so schreite ich mit eisernem Willen weiter voran, fest entschlossen zu widerstehen. Plötzlich frage ich mich: „Hab ich auch den Haustürschlüssel nicht vergessen?“, nehme meine Hand von der Schläfe und befühle meine Jackentasche – NEIN! – von der ungeschützten Seite stürzen zwei riesige, halb nackte Brüste auf mich herab!
Betrunken und entgrenzt könnte man meinen: „Es ist eine Hassliebe! Ja, ich liebe Dich, Du Brust! Aber ich hasse Dich, Du Werber, der sich mit einem solch perfiden Trick in mein Hirn schleicht! Der über einen solch intimen Bereich meines Gefühlslebens meinen Geist mit perfekter Schönheit beschmutzt! Mir idealisierte Vergleichsmaßstäbe einpflanzt! Ja, ich bin Dein Aufmerksamkeits-Sklave und dafür hasse ich Dich! Gib mir mehr, Du Schwein!“
Schon Spinoza wusste: Nicht weil eine Sache gut ist, begehren wir sie. Weil wir eine Sache begehren, ist sie gut. Harmlose Backsteinwände wecken kein Begehren.
Kommentare
Wunderbar treffend
Wunderbar treffend beschrieben! Und lustig noch dazu! :-))
Dieser Stil! „Besonders
Dieser Stil!
„Besonders jene sekundären Geschlechtsmerkmale der Frau, die im letzten Satz wegen der hübschen Alliteration so vulgär benannt wurden, funktionieren immer. Der neue Drück-Hoch-BH in Medizinball-Größe versucht, das das männliche Gehirn zu umgehen und zielt direkt auf die Hose.“
Ich bin begeistert! Dafür ignoriere ich sogar das doppelte „das“.
^ Wow, ich glaub, der U-Bahn
^ Wow, ich glaub, der U-Bahn Blogger muss ein Buch schreiben. Gäb zumindest schon mal einen, der es kauft ;-)
schöne story
schöne story
hab sehr gelacht, coole
hab sehr gelacht, coole geschichte ;-)
Wie immer sehr schön geschrieben.