U-Blog


Uns Muenchenbloggern ist für eine gute Story kein Weg zu weit und so flog ich vor Kurzem nach Berlin, um die dortige U-Bahn in Augenschein zu nehmen. U8 hieß die Linie, auf der sich zwischen Alex und Bernauer Straße folgender Ausschnitt des Lebens abspielte.

Urst geil, wie manch Berliner sagen würde, sah schon die U-Bahn an sich aus: ungeschminkt, klapprig und verwarzt. Ueberall waren Tags, jene graffitiartigen Schriftzüge, mit denen die Sprayer an allen möglichen Flächen markieren: "Ich war hier!". Unten, auf dem Laminat-Fußboden sogar! Uebersät auch die Fenster, wie Milchglas eines Badezimmers im Erdgeschoss sahen sie aus, so zerkratzt waren sie von den geritzten Tags. Um schwungvolle Buchstaben ritzen zu können, montieren die Tagger – munkelt man – Nägel in die Filzkissen ihrer Eddings.

Unberührt waren nur die Sitze geblieben, die psychedelischen Anti-Tag-Muster mit ihren vielen feinen Strukturen in mittlerer Edding-Strichstärke und in den Edding-Farbtönen blau, rot und schwarz zeigten Wirkung – kein einziges Tag war auf den Plastiküberzügen der Sitze zu finden.

Und dann betrat ein passender Mann diese romantisch-berlinerisch abgewarzte Kulisse des U-Bahn-Waggons. Ueberall gibt es diese Art von Mensch, aber nirgendwo stellt er einen derart Werbespot-fähigen Klischeeträger dar, wie in Berlin. Um den Hals hatte er einen bunt gestreiften, grob gestrickten Wollschal gewickelt, außerdem hatte er eine leicht schmierige, leicht verfilzte Matte und einen Rauschebart ("Vollbart naturale", um sich den wachsen zu lassen, bedarf es laut Erwin Fetsche, Präsident des Verbandes Deutscher Bartclubs mindestens zwei Jahre, siehe brand eins Dezember 07). Und er trug nicht nur Klamotten im Used-Look - alte Shamp-Turnschuhe, Kordhose und jagdgrüner Parka – er war richtig gut drauf und hatte sogar einen Schallplatten-Hut. Unique, dieses Teil: auf einer Filzkonstruktion, die ähnlich wie ein Turban auf den Kopf gelegt und ohne Krempe war, lag astreines Zwölf-Inch-Vinyl.

Ueber ein Gestänge, dessen zentraler Träger aus dem Loch in der Mitte ragte und an dem ein Bommel baumelte, war die Scheibe an der Filzkonstruktion arretiert. Urgemütlich sah der Hut aus, und auf eine sympatische Art schräg: Kreativität, Konzequenz und Sinn für Humor strahlte er aus. Und all diese Kompetenzen brauchte der Mann auch für sein Leben, denn er war ein Obdachloser, der die Zeitschrift "Straßenfeger" an den Mann zu bringen versuchte: "Liebe Leute, nur einsfuffzich, die aktuelle Ausgabe vom Straßenfeger, die aktuelle Ausgabe, nur einsfuffzich!"

Um gut drauf zu sein – denn das war der Mann auf herrlich trocken-schnoddrige Art – braucht der Mensch keinen materiellen Luxus: Nein, das sei nicht die Moral von der Geschicht. Unzweifelhaft bedeutet sie vielmehr, dass es. Unter Umständen möglich ist, einen Blog zu schreiben, in dem alle Sätze mit dem einen, dem alles bedeutenden Buchstaben beginnen, der unserer Tunnelbahn ihre charakteristische Note verleiht.

Kommentare

Rambam am Do., 07.12.2006 - 15:16

Aha... es ist also möglich, viele Us zu verwenden. Anscheinend wurden sie doch knapp, und so wird aus einem Rauschebart eben mal schnell ein schneller Bart?

Luxusuhren am So., 04.05.2008 - 16:33

Ist ja echt witzig das ihr nur wegen der U-Bahn in eine andere Stadt fliegt.

Sonst noch eine Stadt in Aussicht?

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