Endstation

 Mensch, hab ich aber lange nicht mehr gebloggt, so viel um die Ohren gehabt, gab immer was zu tun, Schule, Arbeit, Parties, nee, nee, nee. In der Zwischenzeit haben sich immer wieder U-Bahn-Anekdötchen angebiedert, aber ich habe ihnen die Aufmerksamkeit verwehrt, sorry.

Nun gibt´s ein bunte Tüte Anekdötchen nachgeliefert, da ist für jeden was dabei, Bizzares, Ekeliges, Traurig-Ekeliges, und Lustig-Ekeliges.

Anekdote 1 (bizzar): Grad heute stieg ich an der Münchner Freiheit aus und wollte zusammen mit den anderen 1000 Fahrgästen ans verschneite Tageslicht. Auf der einen Aufstiegsseite gibt es einen Engpass, da nur eine Rolltreppe hinauf führt. Die 1000 drängten sich an den Leitpollern vorbei auf die Treppe, doch die war aus. „Och nee“ hier, „mmmh“-Gegrummel da, die Dicken schwitzten.

Die Treppe füllte sich, und als sie voll war legte sie langsam und unterschwellig den Rückwärtsgang ein. Anfangs guckten suchten die Leute noch nach stehenden Referenzpunkten, da sie ob der langsamen Geschwindigkeit der Treppe an eine Halluzination glaubten – es hatte doch nicht etwa ein Bengel die Festhalte-Gummigeländer mit LSD eingeschmiert? Nein, die Treppe gab nach unter dem Gewicht der Massen. Schließlich fingen alle an zu giggeln, die am unteren Ende kehrten um, die am oberen Ende wollte den fast geschafften Aufstieg nicht verloren geben und hoppelten die letzten Stufen gegen die Laufrichtung – so wie ich damals als kleiner Bengel, wenn ich Rolltreppen gegen die Laufrichtung bezwungen habe (und nebenbei LSD auf die Gummigeländer schmierte).

Anekdote 2 (ekelig): Ich stieg um kurz vor fünf morgens am Sendlinger Tor aus (nix Party, schön auf dem Weg zur Arbeit!). Ich wollte gerade die Rolltreppe nehmen, die zum Maronistand führt, da seh ich den Boden vor lauter Backwaren kaum noch. Ein Afroamerikaner (oder Schwarzer wie die Grünen sagen würden) hockte in einem Haufen aus grünen Kisten und sammelte emsig Brötchen, Pizzazungen (mit der fettigen Seite nach unten), Croissants, und Berliner vom Fußboden auf. Die Tauben hockten oben auf der Kante der Treppe, die Männchen - blind und vor Geilheit - nur auf die Weibchen sabbernd, die Weibchen in erregter Krümelfressvorfreude irre gurrend.

Als ich um sieben von der Arbeit kam, war die Auslage bei Bäcker X – wie jeden Tag – bis oben hin bestückt mit Leckereien. Ich kaufte keinen Mohnring mit Frischkäse wie sonst so gerne, denn wenn die Bienen im Sommer auf die Kuchen kacken – OK. Aber eine Taubenflaumfeder am Frischkäse des Mohnring – das geht zu weit. Ich dachte an Hitchcocks Vögel, an die gurrenden Tauben und an den Afroamerikaner inmitten der Brosamen – Heilige Mutter Gottes!

Anekdote 3 (traurig-ekelig): In der zweiten Röhre am Marienplatz gibt es zwei Mülleimer im Abstand von etwa 40 Metern. Vor dem ersten stand eine alte Hutzel-Dame, gut gekleidet, gut frisiert, rausgeputzt – und kotzte. Kotzte was das Zeug hält, Schwall auf Schwall (ist das hier nicht die traurige Anekdote?), minutenlang.

Am zweiten Mülleimer stand auch eine alte Hutzel-Dame, gekleidet, frisiert, doch ohne Socken in den abgewetzten Schuhen. Pfandflaschensammler erkennt man oft am Sockenmangel. Wegen des allgemein etwas verstaubten Omastyles lassen Altkleider-Klamotten nicht unbedingt auf Armut schließen, aber Socken, die haben die wenigsten Pfandflaschensammler an.

Die erste Oma war schließlich fertig mit der Kotzerei, eine Freundin kam vorbei und reichte ihr ein Taschentuch. Kurz darauf erhob auch die Flaschensammlerin den Blick aus ihrem Mülleimer und trottete – ohne zu ahnen, was sie da vorfinden würde – auf den ersten Mülleimer zu. Sie blickte hinein. Und zögerte. Bewegte ihre Hand zum Rand des Mülleimers, zog ihn zurück, griff wieder hin und zog ihn zurück. Die Sache war klar: Die erste Oma hatte eine wertvolle Pfandflasche vollgereiert, die zweite saß in der Zwickmühle aus Ekel und Armut. Ein Mann hätte zugegriffen.

Anekdote 4 (lustig-ekelig): Wenn ich morgens um fünf zur Arbeit fahre, ist die U-Bahn besonders am Wochenende voll mit besoffenem Pack. Ich muss buckeln und die anderen haben den Schlaf der Berauschten vor sich. Je nach Pegel fahren sie singend oder schlafend gen Bettchen, je nach Pegel erlösenden Schlaf oder erlösenden Sau-Rauslassen-Sex suchend. Die Luft im Waggon war von Akoholdunst geschwängert, sogar mein Mohnring mit Frischkäse schmeckte nach Schnaps. Dann setzten sich zwei junge Mädels, zwölf bis 14 Jahre alt, mir gegenüber auf den Vierer. Die eine stützte die andere als hätte die andere auf dem Schlachtfeld einen Granatsplitter abbekommen. In der Hand hielt die andere einen blauen 60-Liter-Müllsack und eine kleine transparente Brottüte. Nun ja, Kotze ist ja auch eine Art Müll, aber auf Kotze ist kein Grüner Punkt, die muss man nicht trennen.

Jedenfalls saßen sie mir nun gegenüber, die eine hielt die andere fest, damit sie nicht vom Vierer falle, die andere sah aus wie Dresden 45 (von Stromberg geklaut) und klammerte den absurd großen 60-Liter-Müllsack fest. „Na, da hat sie ja noch einiges vor“, dachte ich, doch was kam? Gar nichts. Sie würgte und würgte und die eine feuerte sie mitfühlend an: „Das schafftst Du schon“, „Lass es raus, dann wird’s besser“, doch die andere brachte lediglich ein paar Galletröpfchen heraus und sabberte diese weder in die kleine Tüte noch in den großen Sack, sondern auf ihre Hände.

Eigentlich traurig, bemitleidenswert, wenn ein 14-jähriges Mädchen so elendig hacke ist, und kotzen will aber nicht kann. Aber die eine fands lustig und lachte mich an und ich lachte zurück. Ihren 60-Liter-Müllsack ließ die andere auch nicht los, als sie beim Aussteigen darüber gestolpert war, eine herrlich besoffene Pirouetten-Tanzeeinlage gegeben und die eine mit zu Boden gerissen hatte. Da lagen nun die zwei, bogen sich vor Lachen und kullterten über den Bahnsteig. Ich fuhr zur Arbeit.

Das war die Endstation des U-Bahn-Blogs. Ich danke für ihre Aufmerksamkeit, U-Bahn rulz!

Kommentare

RamBam am Mi., 21.03.2007 - 15:02

Wie jetzt, Endstation? Hatte ja schon über die letzten Monate Entzugserscheinungen... wo soll ich denn dann Schreibfehler wie "bizzar" kommentieren? Du kannst doch nicht den Korinthenkackern dieser Welt (also vor allem mir) das letzte Bisschen Spaß im armseligen Leben nehmen?
Also neben den Schreibfehlern hat mir ja noch was anderes an den Texten gefallen: dass sie oft so treffend waren. Vorschlag zur Güte: Du nimmst dir nicht fest vor, nix mehr zu schreiben, sondern machst es wie dieses Mal und schreibst einfach dann wieder was, wenn dir wieder mal was Interessantes auffiel!
Ich bin (mir fiel das gerade auf, als ich wieder mal den U-Bahn-Blog sah) nur deshalb regelmäßiger muenchenblogger-Leser, weil ich zu Anfang immer auf den U-Blog gehofft hatte... somit hat der zumindest in meinem Fall auch einen "Akquisitionseffekt" (bin kein BWLer, will nur auch mal wichtigtuerische Worte verwenden) für die gesamte Seite gehabt. Vielleicht geht es ja auch Anderen so...?

Auf jeden Fall mal Danke für die bisherigen Anekdoten!

Denny am Mi., 21.03.2007 - 16:21

Schön. Wie immer!
Wieso seh ich nie solche Happenings, wenn ich (fast täglich) U-Bahn fahre? Vielleicht sollte ich weniger lesen und mehr meine Mitmenschen beobachten...

Pastor Anke am Do., 22.03.2007 - 22:28

@Denny: Dass du solche "Happenings" nicht mitbekommst, liegt mitunter daran, dass sie nur im Kopf des Autors stattfinden.

Ich finde es ja interessant, dass der Autor bei Schwarzen an ihrem Äußeren sehen kann, dass sie aus Amerika kommen. Erstaunliche Gabe! Ringt mir beträchtlichen Respekt ab.

Im Gegensatz zum ersten Kommentierenden habe ich die U-Bahn-Blog-lose Zeit geschätzt, denn ich persönlich kann an diesen Geschichtchen nichts bemerkenswertes finden, aber da geht es ja jedem Rezipienten anders.

RamBam am Fr., 23.03.2007 - 13:35

@Pastor Anke:
Klar, Geschmäcker sind verschieden. Ich hab mir zuvor schon selbst recht viel Gedanken über die U-Bahn und deren Nutzer gemacht, und es war schön, das Ganze mal von einem anderen Standpunkt zu sehen - mal mit ähnlichen und mal mit grundverschiedenen Ansichten.
Mir hat bspw. gefallen, von Beobachtungen zu lesen, die ich auch selbst gemacht habe, wie etwa dass man ganz automatisch die Fenster als Spiegel nutzt, um "unauffälliger" seine Mitmenschen zu studieren.
Ich konnte mich also irgendwie mit dem U-Blogger identifizieren, und das gefällt dem Menschen nun mal...

Pastor Anke am Sa., 24.03.2007 - 03:27

@RamBam:

Wat däm ein sing Uul eß däm andere sing Naachtijall. ;)

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