Bettel-Blog

 Sie war von irgendeinem Land, in dem die Menschen andere Sorgen als vertrödelte 90 Sekunden haben, nach Deutschland geschwemmt worden. Ihrer Physiognomie nach zu urteilen, stammte sie vom indischen Kontinent, einen Hindufleck hatte sie aber nicht auf der Stirn. Ihren bunten Leinen nach zu urteilen, in die ihr dünner Körper eingerollt war, stammte sie aus Mittelamerika. Ungefähr in der Mitte des tausende Kilometer großen geografischen Abstands ihrer Ahnen, nutzte sie die 90 Sekunden Aufenthalt der Münchner U6 in der Alten Heide, um ein paar währungsschwere Eurocents zu erbetteln.

Ihr Auftreten zeugte von routinierter Professionalität. Beim Einfahren in die fast menschenleere Station stand sie mit einer Kollegin auf dem Bahnsteig bereit, die Waggons zu entern. Sie an dem einen, ihre Kollegin am anderen Ende der U-Bahn. Wenn schon Betteln, warum nicht professionell?

Die alleinige Verzweiflung der Hungernden hätte sie wohl nicht in die Arme der Bettel-Mafia getrieben, doch jede der Bettler-Frauen hatte ein kleines Menschenbündel auf dem Arm. Jede ein kleines Baby, eingewickelt in einen Teil ihrer bunten Leinen. Waren sie die Motivation? Waren es die Körper der kleinen Nachkommen, in denen die Mütter ihr eigenes verkümmertes Leben in ferner Zukunft doch noch aufblühen sahen? Ekelhaft der Gedanke, die Babys könnten den Frauen zugesteckt worden sein, als ein Accessoir, um den Herzerweichungsgrad und so die Einnahmen zu erhöhen.

Die mittelamerikanische Inderin betrat zügig unseren Waggon und wandte sich gezielt nach links, wo an der Wand die durchgehende, lange Sitzbank steht. Die Frau in der Mitte der Sitzbank traf die wandelnde Armut direkt ins Gesicht. Vor ihr stand die dünne Bettlerin, voller Demut flüsterte sie: „Please, please, ... please“, streckte ihre kleine Hand hervor und wiegte ihr Kindchen auf und ab.

Während in Deutschland gerne mal die Frau bei Aldi an der Kasse als Synonym für eine gescheiterte Karriere herangezogen wird, klammerte sich die Bettlerin – der das in der westlichen Welt für eine gesunde Psyche immer wichtiger werdende Phänomen der Selbstverwirklichung wahrscheinlich unbekannt war – klammerte sich diese Bettlerin ans Ende einer schmutzigen Strickleiter, die im dunklen Abgrund der Gesellschaft baumelte. Nur nicht loslassen, sonst gibt´s kein Aufstehen mehr.

Sie war eine von den Menschen, mit denen der unmittelbare Kontakt möglichst vermieden wird, da er so störend am Gewissen rüttelt und einen verstörenden, archaischen Altruismus heraufbeschwört. Sie war eine von jenen, die im Kopf eines jeden Menschen, der sie sieht, kurz den Gedanken „Mann, hab ich es gut!“ aufflackern läßt. Kurz.

Die Frau in der Mitte der Bank schaute zu der Bettelerin auf - ganz kurz guckte sie ihr in ihre flehenden Augen, dann drehte sie ihren Kopf weg und guckte wie ein Hund, der sich sträubt, in das mechanische Auge einer Kamera zu gucken, überall hin, nur nicht zur Bettlerin. „Please, please“, wimmerte sie, und guckte ausdauernd auf die Frau vor ihr. „Please“, sagte sie im leisen Ton trauriger Verzweiflung und guckte abwechselnd auf ihr Baby, ihr leeres Händchen und die Frau.

Doch diese blieb hart, auch wenn sie noch so litt. Ihre Augen konnte sie abwenden, aber durch ihre Ohren gelang das Bitten der Bettlerin in ihr Hirn, wo es dröhnte und die Worte zu Vorwürfen mutierten, die gegen Rechtfertigungen kämpften: „Das arme Ding ist dünn und armselig und ein Euro tut doch nicht weh!“ „Alles Mafia! Bettel-Mafia!, nicht mit mir, außerdem funktioniert die Nummer mit dem Baby bestimmt so gut, dass es auf meinen Euro auch nicht mehr ankommt!“

Die Bettlerin wandte sich nun an die gesamte Runde, zehn Leute saßen auf den Vierern und der langen Bank – keiner rührte sich. Keiner schüttelte mit dem Kopf, keiner winkte ab, alle standen die unangenehme Situation einfach nur reglos aus. Hätte auch nur einer eine Münze gezückt, das schlechte Gewissen der anderen hätte sich verdoppelt – oder wäre in doppelten Trotz umgeschlagen.

Dann drehte sich die Bettlerin um, ihr blieb noch eine halbe Minute für den Rest des Waggons. Die Vierer waren voll, doch ihr Händchen blieb leer. Sie sagte kein anderes Wort als ständig „Please", den Rest kommunizierten ihre Blicke. Dann stieg sie aus und – als hätte ihre innere Uhr den Moment genau abgeschätzt – sofort erklang die Stimme des Fahrers aus den Lautsprechern: „Zurück bleiben, bitte!“.Sie trollte sich zu ihrer Kollegin, die es ebenfalls rechtzeitig auf den Bahnsteig geschafft hatte und guckte ihr in die ausgestreckte Hand - Kassensturz.

Als ich eine Station später in der Studentenstadt ausstieg, stand eine weitere in bunte Leinen gewickelte Frau mit einem Bündel im Arm auf dem Bahnsteig. Sie guckte in die Gesichter der Aussteigenden, als suche sie jemand. Ihre Kolleginnen kamen wohl bald - mit einer Bahn, die keinen Aufenthalt in der Alten Heide hat.

Kommentare

Chris am Fr., 26.01.2007 - 10:16

was soll den dieser überhebliche und schon ans rassistische grenzende artikel über die vom autor hochstilisierte bettelmafia? diese seite verkommt immer mehr zu einem ekligen machwerk subtlier rassismen und sexistischer untertöne. nicht schön.

cohu am Fr., 26.01.2007 - 11:19

Ich bin jetzt sicher nicht der größte Fan des U-Bahn-Bloggers, aber was ist denn an diesem Text sexistisch oder rassistisch? Auch nur ansatzweise? Versteh ich jetzt wirklich nicht...

Thorsten am Fr., 26.01.2007 - 14:38

Das versteh ich jetzt ehrlich gesagt auch nicht. Rassismus seh ich in dem Text wirklich keinen und Sexismus schon 2x nicht.
Der Hinweis auf die Bettelmafia etwa?
Die Untertöne sind anscheinend so gut versteckt dass nur Du sie findest, Chris.

flol am Fr., 26.01.2007 - 20:03

naja, vielleicht nicht gerade rassistisch, aber grenzwertig ist der text schon irgendwie. "Ihrer Physiognomie nach zu urteilen, stammte sie vom indischen Kontinent, einen Hindufleck hatte sie aber nicht auf der Stirn. Ihren bunten Leinen nach zu urteilen, in die ihr dünner Körper eingerollt war, stammte sie aus Mittelamerika." na und?
aber man sieht daran wieder einmal, dass hier in münchen alles so sauber und gschleckt ist, dass eine bettelnde zigeunerin einen durchschnitts-münchner, wie unseren u-bahn-blogger, gleich dazu bewegt, einen nicht besonders vielsagenden bzw. anspruchsvollen text über ihr "handwerk" zu verfassen. sooo außergewöhnlich ist das für unsere mitbürger.
das haben wir wohl auch münchens politik der sauberen straßen und plätze zu verdanken, deren gesetzeshüter penibelst darauf achten, dass sich hier kein gschwerl rumtreibt. außerdem ist der münchner an sich ja auch nicht grad auf den mund gefallen.
vorher hab ich beim heimgehen mitgekriegt, wie ein penner von einem vorbeigehenden passanten als o-ton "mitglied der slawischen bettelmafia" beschimpft wurde. und, dass er gfälligst verschwinden soll. man weiß sich also auch selbst zu helfen...
die armen kerle haben zur zeit wohl kein leichtes leben! aber die meisten von ihnen haben sich wohl irgendwann mal zu diesem leben entschieden. anders als zum beispiel einige bettelnde zigeunerkinder in b., die geigespielend um ein paar almosen betteln. teilweise steht der onkel daneben und passt auf...das ist krass. oder der elefantenmann in lissabon.
aber beim u-bahn-blogger frag ich mich eigentlich jedesmal, was er uns damit sagen will, auf welcher seite steht er? ----langweilig!

cohu am Sa., 27.01.2007 - 10:55

Ja, na und? Die Textstelle ist einfach nicht rassistisch.
Rassistisch sind am obenstehenden höchstens deine "Zigeuner", flol, und deine vorverurteilende Haltung zum "Durchschnittsmünchner" oder "Münchner an sich" (wo trifft man den? Erkennt man den an Gamsbart, bzw. Laptop und Lederhosen? Erzähl uns mehr von deinen Vorurteilen!).
Dass man bei Themen wie organisiertem Betteln nicht so einfach "auf einer Seite" stehen kann, dürfte Dir doch wohl klar sein. Wenn manche in diesem Text keine "Aussage" finden, ist das für mich daher eher ein Qualitätsmerkmal. Was soll der U-Bahn-Blogger denn für ne Position beziehen, Deiner Meinung nach?

flol am Sa., 27.01.2007 - 14:59

also: zigeuner gibts nun mal. was ist daran bitte rassistisch? ich könnte natürlich auch den begriff sinti und roma verwenden. tu ich aber nicht.. außerdem, steht bei mir ja schon im ersten satz, dass der text nicht gerade rassistisch ist, dennoch hört sich die oben stehende beschreibung der frau etwas komisch an.
mit "durchschnittsmünchner" wollt ich den u-bahn-blogger nicht beleidigen oder vorverurteilen. es ist halt mal realität, dass es bettelnde menschen gibt, ob organisiert oder nicht, spielt eigentlich keine rolle. an sowas kann und sollte man sich auch nicht gewöhnen. aber es ist auch nicht außergewöhnlich, wenn diese grad in der kalten jahreszeit auch mal in die u-bahn gehen, um dort ihr glück zu versuchen. und das ist dann schon wieder schlimm, weil die leut nicht mal mehr in der u-bahn ihre ruhe haben.
du hast wahrscheinlich recht, wenn du sagst, dass man sich bei so nem thema auf keine seite stellen kann, weils halt eine beobachtung der realität ist, und nicht wertend sein soll. ich finds trotzdem eher unspannend. sorry.
spannender wär gewesen, wenn der u-bahn-blogger selbst direkt von der frau angebettelt worden wäre. hätte er anders reagiert als die betroffene frau?

rico am So., 28.01.2007 - 10:49

Ich wuerd mich auch eher von dem Wort "Zigeuner" als von dem Zitat "Ihrer Physiognomie nach zu urteilen, stammte sie vom indischen Kontinent" beleidigt fuehlen, wenn ich der oder die Angesprochene waere..

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