Homo u-bahnus oeconomicus

 Manchmal muss es schnell gehen. Mit den Unterlagen in der Hand und einem Business-Spanisch-Hörkurs im Ohr stürze ich um zehn nach sechs Uhr aus meiner Kanzlei in der Kaufinger Straße. Um halb sieben steht die Fusionsverhandlung mit Folco Galli an.

Am Marienplatz bei Kaufhof ist es brechend voll, hunderte Touris verstopfen den Eingang zur U-Bahn. Sie finden die Stofftiere im Schaufenster, die stereotyp mit Kopf und Schwanz wedeln, so niedlich, dass sie ebenso stereotyp auf die Auslöser ihrer Digicams drücken.

Das Le Parkour der U-Bahn beginnt, ich bin der Traceur. Es geht darum, den effizientesten Weg zu finden. Ich schiebe mich durch die Masse, immer eine Schulter als Keil voran. Die Rolltreppe kommt nicht in Frage, Kaufhof-Tüten groß wie Kinderwagen versperren die linke Spur. Während ich noch ein paar Klauseln in den Unterlagen checke, hoppel ich die Treppe runter. Auf der ersten Ebene der Haltestelle Marienplatz geht es dann gegen den Strom der Hinausdrängenden.

Ein Scan der wabernden Masse und ich programiere den Kurs zur zweiten Treppe ein. Ich gehe zügig, laufen wäre für einen Geschäftsmann meiner Tragweite zu obszön. Dann ein ärgerlicher Zwischenfall. Ich sehe, dass die sogenannte Champignon-Klausel nicht wasserdicht ist, sehe auch, dass eine Frau auf Konfrontationskurs ist. Ich weiche nach links aus, sie auch, ich rechts, sie auch, links, rechts und wir stehen uns stumpf gegenüber – dumme Hirnautomatik. Die Frau reagiert mit einem Übersprungs-Lächeln, mit einem pampigen „Que miras, chica?“ treibe ich es ihr aus.

Ich blicke von den Unterlagen auf, sehe auf der Voranzeige, dass die Bahn nach Garching in zwei Minuten fährt. An den Entwertern lungern ein paar Bahnbullen rum und blockieren den kürzesten Weg zur Rolltreppe. Mit eingezogenen Schultern sneake ich mich in einer engen Linkskurve dicht an ihnen vorbei, dann rechts runter auf die Rolltreppe.

Eine Frau mit dem sogennanten Zweidrittel-Becken steht auf der Rolltreppe. Zweidrittel der Stufenbreite wird von ihrem Hintern ausgefüllt. Schulter nach vorne, Unterlagen hochhalten und schon bin ich mit minimalem Körperkontakt an ihr vorbei. Ich hoppel die Stufen runter, schließe auf zu einem Links-Geher vor mir. Sehr gut, dass ist wie im Straßenverkehr einem Notarzt durch den Stau folgen. Der Mann vor mir murmelt Tschuldigung, die Steher machen den Weg frei und ich schlüpfe hinter ihm schnell durch die Lücke, bevor sie sich wieder schließt.

Die Anzeigetafel am Gleis springt auf eine Minute um. Am Bahnsteig sind mehr Kaufhof-Tüten in Kinderwagengröße zu sehen, als Menschen. Ich nehme die zweite Röhre, sie ist so leer, dass sich sogar eine Maus aus ihrem Versteck gewagt hat. Der Weg ist so frei, dass ich mich eine Minute voll auf die Unterlagen konzentrieren kann. Auch die Zwiebel-Klausel ist noch nicht vertragsreif. Dann gehe nach rechts ans Gleis, die Bahn rollt gerade heran, auf Höhe des zweiten Werbebildschirms warte ich die Aussteige ab. Vierter Waggon, erste Tür, ich bekomme einen Stehplatz. Trotzdem, die Unterlagen müssen fertig werden, ich zücke meinen Kugelschreiber und mache Randnotizen wie „El champinon Klausel tienen que ändern“.

In der Studentenstadt angekommen öffnet sich die Erste Tür des vierten Waggons wie erwartet direkt vor der Treppe zur Unterführung. Wie ein agiles Reptil biege ich mich an der grauen Ecke der Treppenmauer vorbei, übernehme die Führung auf dem Weg nach unten. Ein Mann mit unerträglich rosa Krawatte versucht mitzuhalten. „No con este Krawatte!“, denke ich und vergrößere meine Schrittweite und –frequenz. Er bleibt dran, doch an der Rolltreppe nach oben patzt er. Ohne vorher die Laufrichtung am Display gecheckt zu haben, biegt er nach rechts direkt auf die Rolltreppe ein – von oben kommt ihm eine Oma in den Arm gefahren.

Ich bin derweil längst vor meiner Haustür, schließe auf, lese noch die letzten Einzelheiten in den Unterlagen und lerne die Vokabel „la negociacion de fusion“. In der Küche erwartet mich Folco Galli. „Pünktlich wie immer, Herr Galli“, schleime ich rum. Es ist zwei nach halb sieben. „Sie werden aber auch immer besser“, verziert er den Vorwurf der zwei Minuten mit einem rhetorischen Blumenstrauss.

Nach zähen Verhandlungen mit meinem Kontrahenten und Mitbewohner einigen wir uns darauf, dass Galli die Champignons wäscht und schneidet, während ich die Zwiebeln schäle und hacke. Die Fusion geht ohne Komplikationen über die Bühne. Nach 20 Minuten genießen wir jeder mit 50-Prozent-Beteiligung leckere las pastas con champinon-Soße.

Kommentare

RamBam am Do., 21.12.2006 - 13:40

Es haben ja alle deine U-Bahn-Texte was, aber den hier find ich richtig geil! Kompliment!

cohu am Do., 21.12.2006 - 15:50

Jetzt haste ja fast alle möglichen Versionen ausprobiert. Champignons wäre richtig gewesen ;-)

Duden ist übr. auch ein schönes Weihnachtsgeschenk!

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