U-Bahn: Ein Vierer bleibt leer

 Neulich stieg ich in der Studentenstadt in die U6, in eine von den alten Bahnen. Es war Montagmorgen, der Waggon war voll, die Leute standen im Gang, obwohl eine Viererbank rechts in der Ecke des Waggonendes frei war.

"Die sind ja blöd!", dachte ich, und schwang mich locker an der Haltestange in den Freiraum des Vierers – und erschrak vor Ekel. Über den gesamten Fußraum vor den Sitzbänken erstreckte sich ein große, rosa Kotzelarche. Sie war homogen, dünnflüssig und frisch genug, um beißend stinken zu können. Ich konnte meinen Fuß noch knapp vor dem Reintreten hochziehen.

Dann stand ich bei den anderen, keiner wagte über die Kotze zu sprechen. Aber alle linsten ab und zu wieder zu ihr herüber, nur um sicherzugehen, dass sie tatsächlich so ekelhaft ist, wie sie aussah. Bemitleidenswert waren jene Fahrgäste, die auf dem Vierer gegenüber der Kotze saßen. Sie hatten der Larche verständlicherweise den Rücken zugewendet, den Säuregestank versuchten sie durch ihre über die Nase gezogenen Pullover zu mildern. Ich glaube nicht, dass das funktioniert hat.

Doch woher die viele Kotze? Die Bahn hatte vorher auch in Fröttmaning gehalten, vielleicht hat sich dort ein Bayern-Fan am Montag morgen seinen Sonntag-Abend-Rausch noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ja, vielleicht war es so, und dann ist er aufgestanden und hat sich woanders hingesetzt! Ich scannte den Waggon, konnte aber keine Schnapsleiche erkennen.

Dann kam "Nächster Halt: Dietlindenstraße" und das Spiel ging von vorne los. Tür auf, die neuen Fahrgäste wunderten sich ob der Stehenden, dass keiner auf dem freien Vierer sitzt, gingen nichts ahnend um die Ecke der kleinen Anlehnwand an der Tür – und schreckten auf.

Manche ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, und stellten sich keine Miene verziehend zu den anderen in den Gang. Doch den meisten entfuhr im Affekt ein Ausrufe des Ekels wie "Iiih!", "Bäh!" und "Nee, nä!". Einer trat rein in die Larche. Wie bei einem Geächteten hafteten die Blicke der anderen auf ihm, während er sich einen möglichst einsamen Stehplatz suchte. Und dann kam eine Mutter mit ihrem kleinen Kind. "Mama, guck mal, Kotze!", sagte das kleine Mädchen fasziniert. "Bitte zurückbleiben!", sagte der Fahrer.

Nächstes Mal: Böse Jungs unterhalten sich übers Wäsche waschen.

Kommentare

Denny am Mi., 18.10.2006 - 11:57

Schöne Geschichte, war bestimmt recht witzig die neuen Fahrgäste zu beobachten.
Was mir an der Story auffiel:

Du sagst dass sich keiner so recht traute über die Kotze zu reden, alle schauten nur verstohlen in der Gegend rum oder halt mal kurz zur Lache. Das scheint so ein Münchner Phänomen zu sein, dass in der U-Bahn keiner so richtig mit anderen Leuten reden will - jeder hält zwanghaft die Klappe, vermutlich aus Angst darüber einen proletenhaften Ausruf zu artikulieren, man weiss es nicht. Gerade in so einer Situation sollte man annehmen dass man zumindest tuschelt oder schmunzelt und gemeinsam einen Witz reisst. In einer Berliner U-Bahn würde es sicher ganz anders zugehen.

cohu am Mi., 18.10.2006 - 13:16

In der Londoner U-Bahn ist (mit Fremden) Reden bzw. ihnen in die Augen sehen auch verpönt. Vielleicht ist in der Hinsicht München eher eine Metropole als Berlin :-)
Ich finde das U-Bahn-Schweigen ganz angenehm und empfinde es weder als "zwanghaft" noch habe ich dabei vor irgendwas Angst.

Tobi Bauer am Mi., 18.10.2006 - 13:31

Ich schließe mich dem an. - Kann mir nicht vorstellen, daß jemand besonders drauf steht, in der Bahn von irgendjemandem angequatscht zu werden. Ebenso kann ich gut auf die unsäglichen "Entschuldigense bitte, daß ich sie belästige, aber ich bin unverschuldet in Armut geraten und möchte Sie bitten..."-Knalltüten verzichten, die andernorts nomadierend durch die U-Bahn-Wägen ziehen. - Wäh. Wir in München mögen unsere Bettler halt lieber harmlos, still und vor allem: unsichtbar.

cohu am Mi., 18.10.2006 - 13:51

"Kann mir nicht vorstellen, daß jemand besonders drauf steht, in der Bahn von irgendjemandem angequatscht zu werden."
Kommt natürlich in dem Fall immer drauf an, von wem :-)

Max am Mi., 18.10.2006 - 14:14

@Tobi: "Wir in München"? Ist das jetzt einfach mal eine Verallgemeinerung deinerseits oder schon der Pluralis Majestatis? Und seit wann sind Bettler in München unsichtbar? Müssen die seit neuestem Tarnkappen tragen, oder wie?

Pastor Anke am Fr., 20.10.2006 - 00:12

Was ist denn bitte schön eine Larche? Oder ist doch die Lache gemeint? ;)

Komisch, dass keiner der Anwesenden und Wissenden die Hinzusteiger warnt. Eigenartiges Verhalten.

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