Stoiber auf Wahlkampftour beim Aubinger Herbstfest

Edmund Stoibers Bierzeltreden sind legendär. Jedesmal, wenn er in den Münchner Vorort Aubing kommt, bringt er das Bierzelt mit derben Sprüchen zum kochen.

„Stoiber kommt“. Sogleich senkt sich der Geräuschpegel im Bierzelt. Kein Bierkrug wird mehr gehoben, kein Bissen vom saftigen Schweinebraten getätigt. Die Rufe nach der Bedienung und die Gespräche mit den Bekannten verstummen. Die meisten Besucher erheben sich, klatschen und zücken die Trachtenhüte zum Gruß. Wir befinden uns in Aubing, einem dörflichen Stadtteil der bayerischen Landeshauptstadt München. Es ist Sonntag, der 8. September 2003, Wahlkampfzeit. Die Uhr zeigt 11 Uhr 15.

Ein Trommelwirbel ertönt. Wie ein bayerischer König marschiert Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber die Reihen im Zelt entlang – hinter ihm seine Gefolgschaft: Gattin Karin und manch einer seiner Helfer und Beschützer.

Ergriffen steht in der elften Reihe Erwin L., seit 34 Jahren CSU-Mitglied, an seinem Tisch, klatscht frenetisch und blickt gebannt wie ein Teenager, der seinem Popidol begegnet, zum Ministerpräsidenten. Der 68-jährige Rentner ist jedes Mal mit seiner Frau Maria und Tochter Julia dabei, wenn Stoiber dem Aubinger Herbstfest einen Besuch abstattet. „Er ist einer der wenigen Politiker, die mir imponieren. Sein traditionelles Auftreten, die Inhalte seiner Reden – da stimmt meiner Meinung nach alles.“

Als der Schirmherr des Herbstfestes und örtliche Landtagsabgeordnete, Dr. Otmar Bernhard (CSU), den hochrangigen Gast begrüßt, ist die Aufmerksamkeit der Festzeltbesucher, die in der Mehrzahl in Lederhosen und Dirndl erschienen sind, immer noch neugierig auf ihren Landesvater gerichtet.

Mag er net, der Maget?

Kaum einer bemerkt, dass Bernhard Franz Maget, den Spitzenkandidaten der SPD, als Franz Magnet bezeichnet. Mag der Franz etwa eigentlich gar net Ministerpräsident werden? War es Ironie von Bernhard, den in Bayern größtenteils unbekannten Konkurrenten falsch zu benennen, war es ein Versehen oder kennt nicht einmal er den Namen des Gegners richtig? In Bayern gilt schließlich seit langem Stoiber als Magnet, der die Wählermassen anzieht.

Ein Raunen geht durch die Menge, als Stoiber seine Rede beginnt. Einen unfreiwilligen Lacher hat er schnell auf seiner Seite. Um seine Verbundenheit zu Bayern zu verdeutlichen, erwähnt er, er habe hier ja alle seine Kinder zur Welt gebracht. Naja, zumindest habe er „den entscheidenden Anteil dazu beigetragen“. Menschelt da etwa der asketische Politiker? Sogar einen Schluck aus seinem Bierkrug genehmigt er sich.

Ganz unbescheiden erklärt Stoiber dann den Zuhörern, warum er, der ehemalige Chef der Staatskanzlei, Innenminister und nun schon seit 1993 Ministerpräsident von Bayern, als einziger geeignet sei, dieses Bundesland zu regieren. Ehrfürchtig lauschen die Zuhörer. „Der ist keiner so wie Du und ich“, erkennt Erwin L.s Tochter Julia, die in ihrem strengen, weinroten Dirndl viel älter als ihre 27 Jahre wirkt. „Er ist intelligent und diszipliniert – das bewundere ich an ihm.“

Disziplin ist auch nötig in diesem Beruf. Während des Wahlkampfes hat der 62-jährige Politiker über 200 Termine in 40 Tagen zu absolvieren. 12 850 Kilometer wird er am Ende in seinem weiß-blau-gerauteten Reisebus der CSU zurückgelegt haben. Von Aschaffenburg bis Berchtesgarden und von Passau bis Neu-Ulm wirbt er für sich und seine Partei. „Damit Bayern stark bleibt.“

Bayerisches Demokratieverständnis

Doch Einige in der CSU fürchten sich inzwischen vor den aktuellen Umfragen, die der Partei eine Zwei-Drittel-Mehrheit attestieren. Die CSU sieht sich nun in der absurden Situation, ihre Wahlchancen klein reden zu müssen, um den eigenen Wählern die Angst vor einer schwarzen Übermacht zu nehmen. Ein Tischnachbar der Familie L. gesteht, er werde wohl diesmal die SPD wählen, damit Stoiber nicht zu stark werde. Entrüstet mustert Erwin L. ihn von der Seite, entschließt sich aber dann dazu, lieber zu schweigen.

Stoiber steht an seinem Rednerpult – erhaben über dem Publikum. Mal redet er so schnell, dass die Zuschauer keine Gelegenheit haben, sich in Ruhe einen Schluck Bier zu genehmigen. Mal spricht er langsam und bedächtig, so dass die Masse anfängt, mit dem Nachbarn zu plaudern.

Denkt der promovierte Jurist, das Publikum könne mit Begriffen wie OECD nichts anfangen, erklärt er sie den Menschen im Bierzelt geduldig auf simple Art und Weise: „Die OECD ist ein Zusammenschluss der 32 wichtigen Industriestaaten. Den Begriff werden einige von Ihnen sicher schon einmal gehört haben.“

Das dominierende Thema von Stoibers Rede, die Bildungspolitik, ist nicht das Gebiet, das die Zuhörer brennend interessiert. Nur als Stoiber die schlechte Bildung seines Dortmunder Schwiegersohns im Vergleich zur guten bayerischen Schulbildung seiner Tochter aufzeigt, reagiert die Masse mit Zwischenrufen: „Warum heirad de koan Bayern!“

Sternstunden populistischer Rhetorik

Auch Sticheleien gegen Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), dieser müsse aufpassen, „wenn er immer everybody`s darling sein will, nicht irgendwann einmal everybody`s Depp“ zu sein und Angriffe auf die rot-grüne „Versager-Regierung“ in Berlin bleiben ohne große Resonanz Seitens des Publikums. „Avanti Dilettanti! Kommt endlich in die Gänge!“

Erst das Thema über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei lässt die Biertrinker wieder lauschen. Schließlich will ein traditionelles Publikum in Lederhosen nicht, dass „aus dem Münchner Viktualien-Markt ein türkischer Bazar wird“. Das Volk müsse bei solchen Entscheidungen befragt werden, fordert Stoiber. Und Ängste sind bekanntlich leicht zu schüren. „Mir san mir“, bekundet auch Erwin L.. „Schweinsbraten ist mir allemal lieber als dieses Dönerzeugs.“

Damit nicht noch Unwissenheit der Wähler die CSU in eine Wahlpleite führen kann, gibt Stoiber noch eine genaue humorvolle Einführung, wie die Stimmzettel am 21. September richtig auszufüllen sind. „Also, Du weißt jetzt, was Du ankreuzen musst“, raunt Erwin L. einer Erstwählerin am Nebentisch zu.

Standing Ovations und unerfüllt bleibende Zugabe-Rufe zeigen Stoiber nach seiner Rede, die ihn sichtlich zum Schwitzen gebracht hat, dass er sich hier im Aubinger Bierzelt seiner „Vertragsverlängerung“ gewiss sein kann.

Gerührt und zufrieden lässt sich Stoiber-Fan Erwin L. auf seinem Sitz nieder. „Da hat er mir einmal mehr aus der Seele gesprochen. Das Zeug zum Bundeskanzler und Bundespräsident hat er ja durchaus, aber mir ist es schon lieber, wenn er hier bei uns in Bayern bleibt.“

Die Besucher brauchen sich anscheinend auch keine Sorgen machen, die Lichtgestalt Bayerns könne das Bundesland verlassen: Während Stoiber bei der abschließenden Bayern-Hymne lauthals mit Hand auf dem Herzen mitsingt, schlägt er bei der Deutschland-Hymne nur leise Töne an.

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