Sie sind wieder unterwegs. In Hundertschaften durchstreifen sie die verregneten Straßen der Stadt, stehen in allen Ecken der Weihnachtsmärkte und Kaufhäuser herum und verbergen ihre traurigen Gesichter hinter weißen Kunstfaser-Rauschebärten.
Die Rede ist vom Nikolaus bzw. seinen zahlreichen Darstellern, die - manchmal mit, manchmal ohne professionelle Schauspielausbildung - den leichtgläubigen Kindern weißmachen sollen, sie seien der heilige Nikolaus.
Was wohl der echte heilige Nikolaus zu den Scharen seiner meist mittellosen Imitatoren gesagt hätte, die ihn heute in der Öffentlichkeit gegen geringe Bezahlung vertreten? Seine größten Erfolge als Respektsperson hat der Nikolaus jedenfalls längst hinter sich. In den trüben Gewässern der 50er Jahre konnte er vielleicht noch das ein oder andere wohlerzogene Kind wirklich beeindrucken, doch schon in den 70er Jahren bröckelte sein Ansehen im Zuge der antiautoritären Bewegung zusehends. Anfang der 80er tat sich bereits eine Vielzahl der Heranwachsenden schwer, ein Nikolausi von einem Osterhasi unterscheiden.
Es verwundert also kaum, welche Szenen sich gestern auf dem Marienplatz abspielten, als der "offizielle" Nikolaus vom Rathausbalkon zunächst ein Gedicht verlas, das keineswegs die Illusion eines mächtigen, über sämtliche Vergehen der Münchner Kinder Bescheid wissenden Nikolauses zu erwecken vermochte.
Zwar ging der Nikolaus kaum auf das politische Tagesgeschehen ein, dennoch sparte er soziale und gesellschaftliche Problemfelder in seiner gereimten Rede nicht aus. Als er von seinem Balkon zu den weihnachtlich gestimmten Passanten herabstieg, war auch in seinen Handlungen eine gewisse Konsumkritik nicht zu übersehen.
Ungeachtet der sicherlich maßlosen Wunschzettel der Münchner Kinder beschränkte sich der Nikolaus auf das Verteilen von Nüssen und Mandarinen. Damit kam er allerdings bei weitem nicht so gut an, wie er sich das vielleicht erhofft hatte. Zeitweise stand er unbeachtet und ein wenig verloren auf dem Marienplatz herum, bis sich wieder ein paar konsumgeile Kinder in der Hoffnung auf teure Geschenkartikel aus der Unterhaltungsindustrie näherten. Statt dem iPod gab es aber nur eine unspektakuläre Nuss und so zogen sie verdutzt von dannen.
Früher galt der Nikolaus als pädagogische Institution, doch auch davon ist nicht mehr viel übrig. Wer allerdings glaubt, Weihnachtsmänner seien nur auf das schnelle Geld aus, der irrt. Vielmehr ist diese saisonal stark eingeschränkte Arbeitsform als Berufung zu verstehen, so steht es zumindest auf der Homepage des Weihnachtsmannbüros. Wobei die Bewerbungsvoraussetzungen die Schlüsselqualifikationen vieler Hochschulabsolventen übertreffen dürften:
Auch für die diesjährige Saison werden wieder dringend geeignete Bewerber gesucht, die sich dazu berufen fühlen, die Rolle des Weihnachtsmannes, Nikolaus, Engels zu übernehmen.
Kinderliebe, Einfühlungsvermögen, Redetalent und die Fähigkeit, Geschenke an Groß und Klein humorvoll verteilen zu können, werden von den Darstellern verlangt.
Unerfahrene Bewerber müssen jedoch nicht verzagen, schließlich lässt sich alles Nötige im Online-Kurs der Weihnachtsschule erlernen. Nachdem der zukünftige Nikolausimitator per E-Learning die Schulbank gedrückt hat, weiß er zum Beispiel, dass sich Jeans und Turnschuhe für Weihnachtsmänner einfach nicht gehören. Handys und Uhren sind sowieso Tabu und dünne (ausgehungerte?) Nikolausdarsteller sollten sich gefälligst ein Kissen um den Bauch binden, um gemütlicher zu wirken.
Der kettenrasselnde Krampus oder Knecht Rupprecht wird übrigens kaum noch vermietet und selbst für den Nikolaus wurde die früher obligatorische Rute aus dem Programm gestrichen. Unter keinen Umständen sollte sie beim Nikolausauftritt zum Einsatz kommen. Höchstens zur Selbstverteidigung.